Fluß des Lebens, Fluß der Musik
Martin Hornstein, Violoncello
Irgendwann, besonders dann, wenn das Gespräch ganz dicht und inhaltsschwer wird, kommt sie unvermeidlich auf, die Furcht: Hoffentlich läuft das Aufnahmegerät! Nervös schweift der Blick ab vom Interviewpartner, ängstlich sucht er das Flackern der Kontrollampe. Record on!? Pardon, soviel Kontrolle muß sein. Nur zur Sicherheit!! Stellen Sie sich vor, am Ende wär’ nichts drauf. Fehlanzeige. Ein tolles Gespräch und eine leere CD. Schrecklich!! – „Aber nein“, sagt Martin Hornstein vis-à-vis und lacht, „das wäre doch ganz wunderbar!“
Schrecklich oder wunderbar? Feststeht, daß die Technik nicht versagt hat. Das Gespräch ist dokumentiert, das Gesagte festgehalten – alles digital gesichert! Aber am Ende bleiben genau jene Fragen, auf die Hornstein mit seinem pointierten Einwurf abzielt: Was können wir überhaupt festhalten? Was ist schon sicher? „Sicherheit“, sagt der Cellist, „ gibt es nicht im Leben – und schon gar nicht in der Kunst …“
Was also halten wir fest? Wir halten fest, daß dieses Gespräch auf denkbar faszinierende Weise die Fragwürdigkeit des Festhaltens thematisiert. Und eines ist sicher, und sei es nur dies: daß kaum jemand nachdrücklicher über den Trug der Sicherheit zu sprechen vermag als Martin Hornstein.
Sprechen, handeln, leben.
Hornstein läßt sich mit radikaler Konsequenz ein auf das Ungesicherte. Im vergangenen Jahr hat er seine Tätigkeit als Ensemblemitglied des Altenberg Trios beendet – nach zwanzig Jahren Trio-Zugehörigkeit und weit mehr als 1000 Konzerten eine scharfe, für alle schmerzliche Zäsur. Doch der Sicherheit zuliebe im Trio zu bleiben, das hätte weder zu ihm gepaßt noch zum Ensemble, das er verließ.
Prekäres Gut
Menschen entwickeln sich, jeder einzelne überantwortet dem Fluß des Lebens. Beziehungen sind auf diesen Wogen ein prekäres Gut. Gemeinsamkeiten können verlorengehen, Trennungen notwendig werden. Einfach gesagt, schwer gelebt: Martin Hornstein hat lange und hart mit dieser Entscheidung gerungen. Mit 50 noch einmal sehen zu wollen, „ob da jemand ist, der will, daß man Cello spielt“, das sei weiß Gott nicht leicht. „Doch der Entschluß war richtig. Meine Situation jetzt ist spannend, aber auch sehr klar!“
Was kommt zum Vorschein, wenn man Sicherheiten ausläßt? Was bleibt? Was trägt? Angst, sagt Martin Hornstein, sei zunächst das prägende Gefühl, „höllische Angst“. Aber offenkundig sei auch, daß diese Angst „aktiviert, Fähigkeiten freisetzt und Dinge in Schwung bringt, die vom Ruhekissen sogenannter Sicherheit nie zu erreichen wären“.
Auch Verschüttetes gelangt da wieder an die Oberfläche, Tragendes von einst kommt neu ins Spiel. Wenn Martin Hornstein nun im Brahms-Saal einen Sonatenabend klassischen Zuschnitts gibt, dann erlebt er das als eine Art Rückkehr, ein Wiederaufleben heimatlicher Gefühle. Denn lange bevor er als Cellist des Wiener Schubert Trios und des Altenberg Trios auf diesem Podium Stammgast wurde, hat er hier etliche Sonatenabende gegeben. 20, 21 war er damals, hochbegabt, doch innerlich aufgerieben „zwischen unbedingtem Wollen und mangelndem Zutrauen zu mir selbst“. Damals war es der Musikverein – personifiziert durch Margarete Gruder-Gundrum, die legendäre „Frau Direktor“ – der ihm Zuversicht und Auftrittsmöglichkeiten gab. Solche Zuwendung ließ ihn sicher werden: sicher im Entschluß, das Ungesicherte der Kunst zu seinem Leben zu machen.
Gnade des Verklingens
Was ist schon sicher im Leben, was in der Kunst? „Das Sicherste, was es gibt in der Musik“, sagt Hornstein“, ist, in der Musik zu sein. Jeder Versuch, von außen in den Fluß des Musizierens einzugreifen und etwas Außermusikalisches hineinzutragen, um Sicherheit zu gewinnen, führt weg vom Eigentlichen.“
Was aber ist dieses Eigentliche? Es ist eben nicht – auch da macht Martin Hornstein einen entscheidenden Einwand: „In jedem ,Es ist‘ liegt eine destruktive Kraft“ – nein, es ist nicht, sondern es entsteht, es entfaltet und entwickelt sich, schließt sich auf und vergeht. Festhalten können wir es nicht. Und jedes Bemühen, es sprachlich bannen zu wollen, sei zum Scheitern verurteilt. „Einfach jämmerlich“ sei es, sagt Hornstein, „über Musik zu reden. Die Musik ist tausendmal spezifischer als die Sprache!“
Werden und vergehen, sich auf das Ungesicherte einlassen und das Nicht-Festhalten-Können zulassen – in diesem Wechselspiel ereignet sich, so Hornstein, „Musik als spontane, gelebte Kommunikation“. Das Verklingen gehört zur Musik wie das Sterben zum Leben. „Ist es nicht eine unglaubliche Gnade“, fragt Hornstein, „daß es mit dem letzten Ton vorbei ist?“
Wandlung und Wanderung
Fluß des Lebens und der Musik, Wandlung und Wanderung. Nicht zufällig taucht Schuberts „Winterreise“ in diesem Gespräch immer wieder auf – als Leitmotiv und, wie sich zeigt, als Urgrund für Hornsteins Beziehung zur Musik. Im Alter zwischen zwei und sechs, erzählt der Cellist, habe er das Stück mindestens einmal täglich gehört. „Ich habe gelernt, ein Magnetophon zu bedienen, auf dem es ein Tonband mit Fischer-Dieskaus allererster Aufnahme der ,Winterreise‘ gab. Und Gott sei Dank hatte ich Eltern, die mich nicht psychiatrieren ließen deswegen!“ Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. Hornstein hat den musikalischen Existentialismus schon im Kindergartenalter aufgesogen. Wer Schubert auf derart ungewöhnliche Weise nahekommt, der ist ein Leben lang verloren für trügerische Sicherheitsrezepte jedweder Art.
Schweigend, aber nicht still
Was können wir festhalten? Daß Hornstein sich nicht an die Traversen der Erinnerung klammert, um sich dem Fluß der Zeit entgegenzustemmen, liegt auf der Hand. Dokumente zur Vergangenheit sind von ihm nicht zu erwarten. Kein Programmheft, kein Plakat hat er sich aufgehoben. Keine Ahnung also, wie oft er im Musikverein gespielt hat … Dreistellig ist die Zahl in jedem Fall. Für Janna Polyzoides, seine Begleiterin am Klavier, ist es allerdings der erste Auftritt bei einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde. Gleichwohl handelt es sich nicht das Debüt einer Unbekannten. Die 1962 in Graz geborene Pianistin hat sich mit einem enorm breitgefächerten Repertoire international einen Namen gemacht und nicht weniger als 22 CDs aufgenommen – darunter zuletzt eine Einspielung des Klavierkonzerts von Christian Ofenbauer mit dem RSO Wien und eine Recital-Aufnahme mit ihrem Bruder, dem Geiger Demetrius Polyzoides.
Ihre Zusammenarbeit mit Martin Hornstein, erzählt sie, sei geprägt von stillschweigendem musikalischem Einverständnis. Oder anders und besser gesagt: schweigend, aber nicht still. Denn was gesagt werden soll, ergibt sich beim Musizieren, entfaltet sich, nonverbal, aus dem Fluß der Musik.
Pantha rei
Alles fließt. Das Leben, die Musik – auch dieses Gespräch. „Wir agieren mit dem, was wir sind“, sagt Martin Hornstein, „wir reagieren auf eine Situation, lassen uns ein auf einen Prozeß. Das können wir nicht mit vorgefaßten Texten tun …“ Warum also den Text im Nachhinein festschreiben wollen? Vielleicht bloß, um neugierig zu machen: neugierig auf das nächste Gespräch, offen für das, was sich ergibt, wenn Martin Hornstein und Janna Polyzoides die Musik sprechen lassen. 14. März, Brahms-Saal, 19.30 Uhr.
Joachim Reiber, Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien